„Spannende Geschichten voraus“, unter diesem Motto hätte der Tagesausflug in die thüringische Landeshauptstadt Erfurt auch stehen können. Aber anders als Käpt'n Blaubär, der ja seinen drei Enkeln jede Menge Seemannsgarn erzählt, hörten wir von unserem Stadtführer interessante Fakten, Anekdoten und so einiges zum Schmunzeln. Käpt’n Blaubär kann man übrigens, wie einige andere eigenwillige Figuren auch, tatsächlich in Erfurt treffen. Doch dazu später.
Angenehm ruhig und staufrei verlief die Anfahrt und so waren sehr pünktlich in Erfurt. Wir hatten noch ein wenig Zeit, uns die Beine zu vertreten oder einen Blick auf den Jahrmarkt unterhalb des Doms zu werfen, bevor die beiden Stadtführer eintrafen. Und dann ging es los, Erfurt zu entdecken. Alles liegt recht nahe beieinander, so dass wir einen umfassenden Eindruck erhielten, ohne sehr weite Wege gehen zu müssen.
Zuerst ging es wenige Schritte Richtung Dom. Von hier aus hatten wir einen sehr guten Blick auf den Petersberg, eine 231m hohe Erhebung mitten in Erfurt, auf dem sich die gleichnamige Zitadelle befindet. Wir erfuhren, dass nicht nur die Zitadelle, sondern auch der Blick von oben absolut sehenswert ist. Als erstes Fotomotiv bot sich übrigens der riesige ERFURT-Schriftzug am Panoramaweg an. Besser als Hollywood, meinte der Stadtführer, denn der Schriftzug ist bepflanzt, schließlich ist Erfurt Blumenstadt! Eine lange Tradition im Gemüseanbau, Samenzucht und -handel, man könnte viel berichten. Immerhin steht in Erfurt das Deutsche Gartenmuseum. Wir erfuhren etwas über Waid und natürlich nicht zu vergessen: über die Erfurter Puffbohne.
Wir liefen wenige Schritte mit unserem Stadtführer, übrigens eine echte Erfurter Puffbohne, und standen vor dem Domhügel. Ein einzigartiges und wirklich beeindruckendes Ensemble, zwei Kirchen unmittelbar nebeneinander. Kein Wunder, dass Dom und Severikirche mit den insgesamt sechs Türmen das Wahrzeichen von Erfurt bilden. Die 70 Stufen bin ich später hochgestiegen. Wir erfuhren etwas über beide Kirchen sowie die „Gloriosa“, die größte freischwingende mittelalterliche Glocke der Welt und Vorbild für die Frankfurter Gloriosa.
Wir überquerten den Domplatz, bewunderten die herrlichen Fassaden der Häuser und schlüpften in eine kleine Gasse. Sie führte uns zum schmalsten Haus Erfurts und damit zu weiteren interessanten Geschichten. Doch zuerst fiel uns der Waidspeicher auf. Dieses große Speichergebäude ist ein Beispiel dafür, dass Waid, „das blaue Gold“, Erfurt reich gemacht hat. Waid, oder Färberwaid, ist eine gelbblühende Pflanze, deren Blätter sogar zweimal im Jahr geerntet werden können. Die Bauern brachten ihre getrockneten Waidballen nach Erfurt, die hier eingelagert und weiterverarbeitet wurden. Über das aufwändige Verfahren des blauen Farbstoffes erfuhren wir so einiges. Ein wenig „anrüchig“ war die Herstellung schon. Heute befindet sich hier ein Kabarett und ein professionelles Puppentheater. Und wer die wunderschönen Marionetten auf der Krämerbrücke gesehen hat – übrigens findet sich dort auch etwas zum Waid – wird sofort Lust bekommen, in die phantastische Welt des Puppentheaters einzutauchen.
Und das schmalste Haus? Das steht direkt schräg gegenüber. Wir schauten allerdings auf die Rückfront der Häuser in der Marktstraße. Heute sind die beiden schmalen Häuser miteinander verbunden. Wie man dort wohl früher wohnte? Sehr beengt auf jeden Fall. Anders als in dem „Haus zum Sonneborn“, dem wohl ältesten Haus in Erfurt. Schon mal von Sgraffiti gehört? Sie schmücken die Fassade oberhalb des prächtigen Renaissanceportals. Und warum gibt es über dem Portal runde Löcher im Mauerwerk? Sie weisen darauf hin, dass hier – wie in anderen Häusern in Erfurt – Bier gebraut wurde. Wir verließen das wahrscheinlich einst als Waidspeicher genutzte Haus und die Hochzeitsgesellschaft und weiter ging es durch die schmalen Gassen mit einigen Zwischenstationen zum Fischmarkt.
Was für ein schöner und einladender Platz! Das neogotische Rathaus steht übrigens an der gleichen Stelle, an der schon im Jahr 1275 ein Rathaus errichtet wurde. Wie es wohl damals hier ausgesehen hat? Wenige Jahrhunderte später wurde Erfurts Reichtum jedenfalls offensichtlich und ist gut zu erkennen an den noch heute prächtigen Patrizierhäusern aus der Renaissance. Unsere Gruppe steht ein Stück vor einem der schönsten Renaissancehäuser Deutschlands, dem „Haus zum roten Ochsen“, erbaut von einem Waidhändler, heute Sitz des Kunstvereins. Wunderschön der breite Fries mit dem Hauszeichen über dem Portal. Hier auf dem Platz gemütlich in der Sonne sitzen, einen Kaffee, ein Eis genießen, das macht bestimmt Spaß. Aber wir ziehen weiter, es gibt schließlich viel zu entdecken!
Wie das Haus „Zum Breiten Herd“ mit der Darstellung der fünf Sinne. In diesem Haus besuchte übrigens während eines Kongresses Napoleon den hier logierenden Friedrich August I. von Sachsen. Und hier brannte auch das erste elektrische Licht in Erfurt. Wir erfuhren, was Mainz mit Erfurt zu tun hatte und was es mit dem „falschen Roland“ auf sich hat, der so stolz mit der Erfurter Flagge auf dem Platz steht. Durch die Gründung eines Bistums in Erfurt durch Bonifatius gibt es übrigens schon 742 die erste Erwähnung von „Erphesfurt“. Da das Bistum bereits 755 mit der Erzdiözese Mainz vereinigt wurde, hatten die Erzbischöfe von Mainz die politischen Rechte in Erfurt, auch wenn sich die Stadt einer gewissen Unabhängigkeit erfreuen konnte. Und da Erfurt keine freie Reichsstadt war, konnte dort kein Roland stehen, sondern der Hl. Martin, der Schutzheilige von Mainz. Er erinnerte die Erfurter an die Oberhoheit des Mainzer Erzbischofs! Nach seiner Zerstörung im Bauernkrieg musste eine neue Statue aufgestellt werden. Und dem damaligen Geschmack entsprechend, stellte sie einen bewaffneten römischen Krieger dar. Die Erfurter haben darin keinen Heiligen sehen wollen, bezeichneten ihn als Römer oder Roland. Und so ziert halt seit 1591 ein „Römer“ den Erfurter Fischmarkt.
Nach diesem kleinen Ausflug in die Geschichte liefen wir weiter zu einem anderen besonderen Denkmal. Doch vorher passierten wir „Bernd, das Brot“ und entdeckten eine „Erfurter Puffbohne“ sowie viele schöne Ein- und Ausblicke, die Lust auf einen Bummel durch die kleinen Gassen und Straßen machten.
Eine Erfurter Puffbohne, so bezeichnet sich stolz ein geborener Erfurter, obwohl es einst ein Spitzname war. Warum? Echte Erfurter hatten immer eine Handvoll Puffbohnen in der Tasche. Wenn sie an einem Puffbohnenfeld vorbeikamen, zogen sie den Hut und grüßten die Puffbohnen, um ihre Wertschätzung auszudrücken. In Erfurt gab es optimale Bedingungen für den Anbau der „Saubohne“, die schon im Mittelalter ein beliebtes Nahrungsmittel war. Die Bohnen pufften während des Kochens auf und so bekamen sie ihren Namen. Heute ist sie das Maskottchen der Stadt. Sie wird übrigens immer noch in Erfurt angebaut.
Nach wenigen Schritten standen wir vor dem sog. Steinernen Haus, das wohl ab 1293 in jüdischem Besitz war. Erbaut um 1250, ist es ein ganz besonderes Zeugnis spätmittelalterlicher Baukultur. Wir erfuhren, dass die Ausgestaltung des oberen Geschosses einzigartig in Europa ist. Das Gebäude ist übrigens Bestandteil des jüdisch mittelalterlichen UNESCO-Welterbes.
Wir befinden uns im ehemaligen jüdischen Quartier zwischen Rathaus, Krämerbrücke und Michaeliskirche. Hier, hinter dem Rathaus stand eine mittelalterliche Synagoge, direkt neben dem „Haus zur Narrenschelle“. Vor diesem Haus steht unser Ziel, das ungewöhnliches Denkmal. Doch noch ein paar Worte zur Synagoge. Die Gasse vor dem Esel führt zur sog. „Kleinen Synagoge“, ein wunderschönes gelbes Gebäude am Ufer der Gera mit wechselvoller Geschichte. Heute ist dort eine Begegnungsstätte untergebracht. Die verwinkelte Gasse, in der wir uns befinden, heißt „An der Stadtmünze“, doch diesen Namen erhielt sie erst 1939. Seit 1404 hieß sie „Hinter der Judenschule“, ein Hinweis auf die Synagoge von 1357. Und so steckt in einem alten Straßennamen unendlich viel Geschichte, die auch das Straßenschild aufnimmt. An die Vorgängersynagoge erinnert dagegen nur noch ein sehr gelungenes Graffiti. Übrigens befindet sich in der Waagestraße unmittelbar am Fischmarkt in der Alte Synagoge – mit über 900 Jahren die älteste erhaltene Synagoge Europas – ein Museum, in dem auch der 1998 entdeckte „Erfurter Schatz“ mit dem jüdischen Hochzeitsring ausgestellt wird. Auch er ist weltweit einzigartig und ein Ziel für einen weiteren Erfurt-Besuch.
Wir wenden uns dem Esel und damit Till Eulenspiegel zu, der auch in Erfurt sein Unwesen trieb. Dazu gibt es die Sage, dass Till Eulenspiegel den Gelehrten der Erfurter Universität beweisen wollte, dass ein Esel lesen lernen kann. Das „I-A“, hatte der Esel wirklich schnell gelernt! Eine lustige Geschichte und gekonnt dargestellt.
Und nun ging es zu einem besonderen Highlight, zur Krämerbrücke. Diese erreichten wir über die Rathausbrücke. Einen schönen Blick auf die Gera hat man von hier. Direkt gegenüber geht der Blick auf die Südseite der Krämerbrücke. Man muss schon genau schauen, denn der erste Blick lässt nicht erkennen, dass die vor uns liegende Häuserzeile – so hübsch sie auch ist – auf einer Brücke über zwei Flussarmen der Gera liegt. Und schon gibt es einige Superlative: Sie ist das älteste profane Bauwerk Erfurts und die längste durchgehend mit Häusern bebaute und bewohnte Brücke Europas. Einst drängten sich hier 68 schmale Häuser, heute sind es noch 38. An beiden Enden standen einst Kirchen und ein Gewölbebogen führte auf die Brücke, die ein Teil der Via Regio war.
Wir liefen einige Meter weiter zum östlichen Ende mit der Ägidienkirche. Hier am Wenigermarkt befindet sich einer der Aufgänge, wir liefen aber am Torbogen vorbei zur Schokoladenseite der Brücke. Schöne Ausblicke und interessante Geschichten gab es auch hier. Wir erfuhren etwas zur Mikwe, die hier wieder entdeckt wurde und dass das Gasthaus zum Augustiner um 1500 ein Universitätshospital war, sicher mit Kontakten zum nahegelegenen Kloster, in dem auch Martin Luther lebte.
Wir verabschiedeten uns von unserem Stadtführer und mit all den kurzweiligen Geschichten im Kopf ging nun jeder seines eigenen Weges. Mich führte er erst einmal noch ein Stück weiter die Gera entlang. Sehr malerisch hier auf der kleinen Landzunge zwischen den Flussarmen. Man kann gut sitzen, die Ruhe genießen, Kunst im öffentlichen Raum betrachten oder den Nachbau der ehemaligen Schildchenmühle, die um 1200 schon erwähnt wurde und bis 1954 als Mehlmühle in Betrieb war. Auch die kleinen Gassen am anderen Ufer sind sehr fotogen und es ist nicht mehr weit bis zum Augustinerkloster.
Aber das Kloster musste auf eine andere Reise warten, die Krämerbrücke lockte. Also zurück und über die Kreuzgasse hinein in den Trubel. Doch vorher grüßte noch das Sandmännchen. Eines von vielen knuffigen Fotomotiven, denn die KIKA Figuren befinden sich an einigen Stellen in der Erfurter Innenstadt. Und nicht nur Kinder hatten Spaß an den Figuren. Und dann ging es hinein in den Brückentrubel. Schnell merkte ich, es ist Platz genug, ganz gemütlich zwischen den beiden Häuserreihen durchzulaufen, die wirklich liebevoll dekorierten Geschäfte– selbst die Regenrinne war schick verkleidet – und Waren zu betrachten. Nur die Eisdiele verlangte Geduld. Aber es hat Spaß gemacht, durch die Geschäfte zu bummeln, dass ein oder andere tolle Gespräch zu führen und die Atmosphäre dieses historischen Platzes zu genießen. Vom Puppenbauer über den schönen Papierladen, das Waidgeschäft bis zur Schokoladenmanufaktur, der Besuch lohnte sich wirklich.
Und dann gings in die „City“. Mein Weg führte mich wieder zurück zur Gera, aber diesmal ging‘s in die andere Richtung. Und wer paddelt da auf der Gera direkt vor der Schlösserbrücke? Käpt’n Blaubär und Hein Blöd! 13 solcher Figuren gibt es inzwischen im Stadtgebiet. Ein Blick zurück auf die Häuser der Krämer-Brücke und davor links die Kleine Synagoge. Mein Ziel war jetzt die Einkaufsstraße und Flaniermeile „Anger“. Jede Menge imposanter Gebäude liegen am Weg und natürlich viele Geschäfte. Imposant auch der Angerbrunnen und das Gebäude der ehemaligen Waage, heute Kunstmuseum. Und die Maus behält im Trubel den Überblick. Mein nächstes Ziel: der Domplatz. Also ein Stück zurück, vorbei an der Neuen Mühle, der einzigen noch funktionsfähigen Wassermühle, dann fix durch kleine malerische Gassen, in denen sich allerlei Kurioses finden lässt. Die Wege sind kurz und so stand ich bald wieder auf dem Domplatz und es ging zügig die Domstufen hoch. Ein schöner Ausblick auf die Altstadt erwartete mich dort oben und dann schaute ich mir Erfurts „Stadtkrone“ an, den Dom und die Severikirche. Es würde den Rahmen sprengen, von allem zu erzählen. Da sind die beiden Triangelportale mit prächtigem Bilderschmuck. Knuffig der etwas kleingeratene Teufel, den der Erzengel Michael am Mittelpfeiler mit seiner Lanze durchbohrt. Fantastisch die hohen Fenster im Chor aus dem 14.Jahrhundert. Besonders fasziniert hat mich das Chorgestühl von 1329. So eine prächtige Ausstattung! So viele Details allein hier zu entdecken! Der Barockaltar, der Taufbrunnen, vieles mehr könnte man erwähnen.
Mich zog es weiter in die Severikirche. Auch hier erwartete mich eine prächtige Ausstattung. Bedeutend der Sarkophag des Kirchenpatrons Serverus von Ravenna. Sehr anschaulich wird das Leben des Heiligen dargestellt. Beeindruckend der 15m hochragende Baldachin über dem spätgotischen Taufstein. Und die detailreiche Klais-Orgel hätte ich zu gern gehört. Ich wollte aber noch der Empfehlung unseres Stadtführers folgen und bin nach dem etwas kurzen Abstecher zur Kirchenkunst zur Zitadelle gelaufen. Es gibt einen Panaromaweg und eine Treppenanlage mit Fahrstuhl. Viel Zeit blieb mir nicht mehr, um eine der größten barocken Stadtfestungen Mitteleuropas anzuschauen. Die Superlative setzen sich fort, galt sie doch als modernste Anlage und uneinnehmbar. Leider musste ich auf den Besuch der Festungsanlagen verzichten. Stattdessen machte ich es wie die drei 2,80m hohen Bischöfe und schaute ausgiebig auf den Domberg mit Mariendom und Severikirche. Ein toller Ausblick von hier oben.
Aber ein kleiner Rundgang musste natürlich sein. Den Hauptzugang markiert das prächtige Peterstor. Besonders auch die ehemalige Klosterkirche St. Peter und Paul. Die Darstellungen im Inneren zählen wohl zu ältesten erhaltenen Wandmalereien in Thüringen. Aktuell findet hier die Ausstellung „Paradiesgärten – Gartenparadiese“ statt. Für einen Besuch reichte die Zeit nicht, aber für einen Bummel über den Jahrmarkt und die ein oder andere Leckerei schon. Dann ging es voller toller Eindrücke und dem Wissen: „Hier fahre ich noch einmal hin!“, wieder nach Hause. E. S.